Tonya Harding? Noch nie von gehört. Margot Robbie? Nicht unbedingt eine gute Schauspielerin. Ein Film über den Eiskunstlauf? Pfff… Get out of here! Doch dann las ich begeisterte Kritiken, die den Film in die Nähe der Coens sowie Tarantinos stellten, die Hauptdarstellerin in den Himmel erhoben und die ungewöhnliche Handlung lobten. Auf einmal war ich interessiert. Wir wollen sehen, ob der Film wirklich der dicke Geheimtipp ist, als der er gehandelt wird.
Wettbewerb unter erschwerten Bedingungen
Wie eingangs erwähnt, ist diese Sportart nun nicht gerade das, was auf Anhieb Interesse bei mir aufkeimen lässt. Sicherlich ist der Eiskunstlauf ein harter Sport und erfordert höchste körperliche Beherrschung, aber das ist kein klassisches Interessengebiet von mir. Das ist okay. Vielleicht macht auch gerade so etwas Filme faszinierend. Bei Darren Aronofskys „Black Swan“ war es das Thema Ballett, das für mich wenig anziehend wirkte, doch der Film schaffte es mühelos in meine persönliche Liste der besten Filme aller Zeiten.
„I, Tonya“ hat also nicht die schlechtesten Voraussetzungen, um trotz sehr unkonventioneller Thematik punkten zu können. Ohnehin ist die Geschichte um die Eiskunstläuferin, die ein Attentat auf ihre Kontrahentin in Auftrag gab, nicht nur herrlich schräg, sondern in diesem Fall sogar wahr. Der Film basiert also auf der realen Geschichte von Tonya Harding. Das erfordert eine erfahrene Darstellerin, da hier keine komplett neue Figur aus sich erschaffen werden kann, sondern ein vorgegebener Charakter überzeugend eingefangen werden muss. Hat Margot Robbie das gemeistert?
Auf die schiefe Bahn geraten
Man kann Robbie attestieren, dass sie mit dieser Rolle einen cleveren Stilbruch vollzogen hat. War sie durch Scorseses „The Wolf of Wall Street“ und als Harley Quinn in „Suicide Squad“ doch weniger als ernsthafte Schauspielerin aufgefallen, sondern vielmehr als sexualisiertes Püppchen. Um diesem Typecasting entgegenzuwirken und sich als vielseitige Darstellerin zu etablieren, kam die Rolle der weniger klassischen Schönheit gerade recht. In den Drehpausen ließ sie sich Bier in die Haare schmieren, um ihre Figur schmuddeliger erscheinen zu lassen. Kampf dem Schönheitswahn, Mut zum Durchschnitt. Alles andere als durchschnittlich ist allerdings ihre Performance selbst. Diese Figur bietet ihr tatsächlich die Möglichkeit, ungeahnte Facetten auszuspielen, wenn es der Film denn zulässt. Aufgrund des satirischen Anstrichs pendelt „I, Tonya“ oftmals zwischen überstilisierter Lockerheit und wenigen, ernsteren Szenen hin und her. Das ist eine schwierige Gratwanderung, die der Rolle nicht immer unbedingt gut tut. Doch letztendlich schafft es Robbie mühelos, diese Figur mit Leben und Emotionen zu füllen. Am Ende offenbart sie sogar ganz starkes, emotional überzeugendes Schauspiel. Die physisch fordernden Szenen auf dem Eis kann Margot Robbie dabei größtenteils souverän aussehen lassen, allerdings wurde bei den besonders spektakulären Pirouetten mit dem Computer und mittels Kameratricks nachgeholfen.
Glücklicherweise bietet die Figur Tonya Harding einiges an Material, um einen vielschichtigen Charakter zu erschaffen. Von Kindesbeinen an leidet sie unter der kaltschnäuzigen Mutter, die Druck aufbaut und wenig Liebe gibt. Das führt zu einer Tochter, die im Inneren zutiefst unsicher ist, nur auf dem Eis zu überzeugen weiß. Was ihr an Bildung fehlt, macht sie durch den Sport wieder wett. Er ist alles, was sie hat, alles, was sie kann. Doch nicht einmal ihre sportliche Leistung kann die Mutter (fies verkörpert von Allison Janney) würdigen. Statt Motivation gibt es nur Demütigung und Enttäuschung. Dysfunktionalität ist ein Motiv, das sich durch den ganzen Film zieht. Dementsprechend verbissen und rücksichtslos agiert Harding in ihrem Sport und im Privatleben. Ehrgeiz, Bestätigung und Wut treiben diese Figur voran und alles verpackt in einer fragilen, impulsiven Psyche. Um das ohnehin kleine Selbstbewusstsein überhaupt noch am Leben erhalten zu können, übernimmt sie keinerlei Verantwortung für Fehler und ihr eigenes Handeln. Tonya ist nie darum verlegen, anderen die Schuld für ihr Scheitern zu geben. Das ist tatsächlich realistisch und nachvollziehbar erzählt. Zum Psychogramm reicht es am Ende aber nicht.
Stilpunkte
Regisseur Craig Gillespie scheint ein großer Bewunderer der Coen-Brüder und Martin Scorseses zu sein, anders lässt sich seine Inszenierung nicht erklären. So finden sich mit 360-Grad-Kamerashots, Freeze Frames und der typischen Narration durch die Hauptfigur selbst reichlich Stilmittel aus Scorseses Filmschaffen wieder. Die zeitweise sehr lockere Crime-Atmosphäre mit ihren verschrobenen Figuren und dem Spiel mit dem, was Realität ist und als was man sie uns verkaufen will, erinnert dann frappierend an Filme wie „Fargo“ oder „Burn After Reading“. Ohnehin sind Wahrheit und Fiktion hier große Themen. Zeitweise ist „I, Tonya“ aufgemacht wie eine Pseudodokumentation, präsentiert uns Interviews der Hauptfiguren im 4:3 Bildformat oder schneidet munter Bilder ein, welche gerade zum Gesagten passen. Wenn Tonya also von einer Mülltonne spricht, in der ein belastendes Beweisstück gefunden wurde, wird dieses hastig für einen Moment eingeblendet. Das birgt eine intendierte Komik in sich. Durch die Überstilisierung, bei der Charaktere schonmal die vierte Wand durchbrechen und direkt mit dem Zuschauer sprechen oder den Film selbst anhalten, entsteht eine herrlich künstliche Überhöhung der Realität. Auf die Spitze wird dies getrieben, wenn eine der Figuren sich fluchend darüber beschwert, dass ihre Storyline nun ins Leere laufen würde.
Jeder hat seine eigene Version der Wahrheit
Wer den Film und die Serie „Fargo“ mag, der wird auch hier zufrieden grinsen. Die Handlung ist aufgebaut auf unzähligen, dubiosen Aussagen verschiedener Personen. Hauptsächlich müssen wir aber das glauben, was die echte Tonya Harding und ihr Partner Jeff Gilooly damals in Interviews erzählten. Ob das immer alles so stimmt, ist eine andere Sache. Bereits am Anfang macht uns der Film klar, dass wir hier eine Geschichte erleben werden, die auf kontradiktorischen Aussagen basiert. Wir bekommen hier dementsprechend gefilterte (Halb)Wahrheiten und Perspektiven serviert. Dieses Thema wird im Film auch mehrfach offen angesprochen. In Splitscreen-Szenen widersprechen sich die beiden Hauptfiguren gegenseitig oder behaupten gar, dass die nachfolgenden Sequenzen nicht der Wahrheit entsprächen. Das macht den Film zeitweise zu einer herrlichen Räuberpistole.
Musikalische Zeitgeschichte
„I, Tonya“ verlässt sich zu großen Teilen auf einen wilden Mix großer Hits der Popkultur. Die Bandbreite reicht von den 50ern bis in die 90er-Jahre. Da folgt ZZ Top auf Doris Day und den Dire Straits. Aber auch klassische Motive werden in Form von Vivaldi aufgegriffen. Bei der Auswahl und Inszenierung der Szenen wird man einmal mehr an Martin Scorsese erinnert, der seine Filme über Aufstieg und Fall genau auf die gleiche Weise in Szene setzte. Musikalische Zeitgeschichte, die im Hintergrund einer filmischen Handlung abläuft. Das funktioniert auch hier blendend. Der eigentliche Score von Peter Noshel läuft aber eher unauffällig ab und ist nur zweckdienlich. Das ist okay. Die Wirkung der eingestreuten Songs wird jedenfalls nicht verfehlt und sie erzeugen jederzeit ihre eigenen Stimmungen.
Abzüge in der B-Note
Die Kür fällt leider nicht perfekt aus. Mit zwei Stunden ist der Film etwas zu lang geraten, streckt seine Geschichte etwas in die Länge, obwohl sich das Material dafür nicht eignet. Es fühlt sich an, als wolle man hier ein ganzes Leben abbilden, obwohl der Kern der Handlung nur 23 Jahre abdeckt. Auch leidet „I, Tonya“ an seinen stilistischen Vorbildern. Das Zitatekino, das hier abgefeuert wird, ist ein großer Spaß für Scorsese- und Coen-Fans, allerdings setzt nach einiger Zeit eine spürbare Übersättigung ein. Dies ist ebenfalls der Länge geschuldet. Die immer wieder durchscheinende, wirklich lobenswerte schauspielerische Leistung von Margot Robbie wird leider durch die teilweise zu verspielte Inszenierung etwas untergraben. Erst im letzten Drittel besinnt sich der Film wieder. Dann wirkt das Werk bodenständig.
Fazit
„I, Tonya“ ist kein Film über das Eiskunstlaufen, vielmehr ist er ein Wolf im Schafspelz. Ein überspitzter Krimi im Geiste der Coens, mit den Stilmitteln Scorseses garniert. Er weiß durch seine verspielte Inszenierung zu gefallen und die Darstellung von Margot Robbie hat das Lob durchaus verdient. Die musikalische Untermalung ist launig und die Kameraarbeit nahezu mustergültig. Zum Platz auf dem Siegertreppchen fehlt aber der Mut, sich eigenständiger zu präsentieren und der eigenen Hauptfigur mehr Platz für ernste Szenen zu geben. So bleibt am Ende eine bissige Satire, die überzeugt, aber von dieser Jury keine Höchstbewertung bekommt. Dennoch eine wirklich bemerkenswerte Kür, die hier abgeliefert wurde.
Bewertung;
Autor: Sebastian Narkus
Bildmaterial: DCM