Erstveröffentlichung am 10. November 2015 auf Amazon
Da ist er also endlich, der lang erwartete vierte Teil der „Fallout“-Reihe. Vor wenigen Monaten erst überraschend angekündigt, aber doch von vielen schon seit Jahren erhofft, muss es jetzt große Erwartungen erfüllen. Nun steht es in den Regalen und wie gut es geworden ist, versuche ich in meiner Rezension zu klären.
Story & Spielwelt:
Am Anfang des Spiels haben wir die Wahl, ob wir einen männlichen oder weiblichen Charakter spielen und erstellen wollen. Das geht mit einem recht intuitiven Tool ziemlich einfach, mit dem wir z. B. einfach die Nase so breit und lang ziehen, wie wir das möchten. Wer gerne modelliert, dürfte hier schon die ersten 30 Minuten rumkriegen. Der grobe Handlungsbeginn ist dann dieser: Nachdem ein Vault-tec-Mitarbeiter die Hauptfigur an der Haustür für die nahegelegene Vault begeistern will, nimmt das Unglück ironischerweise gleich seinen Lauf. Das Ehepaar kann sich samt Baby gerade noch in den Bunker in der Heimatstadt Boston retten und verbringt 200 Jahre im Kälteschlaf. Wieder aufgetaut, sieht sich unsere Spielfigur mit einer Welt konfrontiert, die sie weder kennt, noch versteht, die sie aber in jedem Fall überleben muss. Konkreter will ich auf den Handlungsverlauf nicht eingehen, da ich Spoiler vermeiden will. Nur so viel sei noch gesagt: die Charaktere profitieren für mein Empfinden sehr davon, dass sie nun endlich den Mund aufmachen. Die stummen Texteinblendungen vorheriger Bethesda-RPGs waren auf die Dauer für mich dröge und fantasielos. Witziges Detail: der Name unserer Spielfigur wird z. B. von unserem hauseigenen Mister Handy Hausdroiden ausgesprochen. Wer sich also xXxHardcoreOVAStyl03xXx nennt, verpasst dieses Gimmick sicherlich.
Ansonsten erzählen wir uns die Geschichte dieser Welt oftmals einfach nebenher selbst weiter. Wenn wir die Spielwelt erkunden, wird die Handlung nicht nur durch die Ereignisse und Ingame-Zwischensequenzen, sondern auch erneut durch unzählige Computer-Terminals und Tonbandaufnahmen voran getrieben. Manchmal reicht schon ein einfacher Blick durch ein Fenster, vor dem ein toter Scharfschütze liegt, um eine kleine, detailierte Story erzählt zu bekommen. Schaut man in die Richtung, in die der Sniper das Loch ins Fenster geschossen hat, sieht man schon aus der Ferne einige Leichen am Boden liegen. Unten angekommen, handelt es sich um eine Familie, die wohl gerade versucht hat, zu fliehen. Durch kleine Geschichten wie diese wirkt das große Ganze lebendig und nicht oberflächlich.
Atmosphärisch stimmt mit der Spielwelt auch wieder alles. Nach wie vor dürfen wir uns mit einem Zukunftsszenario auseinandersetzen, das quasi in der technischen Steinzeit hängengeblieben ist, dennoch viel weiter fortgeschrittener daherkommt, als wir das tatsächlich aus den 40ern und 50ern gekannt haben. Heißt: wir treffen auch weiterhin auf Roboter oder Computer, die es so gar nicht gegeben haben kann. Dieser Retrofuturismus ist es auch, der die Spiele so faszinierend macht, ähnlich wie die „Bioshock“-Spielreihe. Ich wurde also in jedem Fall wieder direkt in diese Welt hineingezogen, die mal wunderschön und dann wieder absolut erschreckend daherkommt. Jeder der weiß, was die Qualitäten der Reihe sind, wird sie also erzählerisch wie auch stimmungstechnisch erneut bekommen.
Gameplay:
Wer „Fallout 3“ gespielt hat, wird sich sofort zurechtfinden. Spielerisch unterscheiden sich die Spiele auf den ersten Blick kaum. Das ist nicht unbedingt ein Kritikpunkt, denn die Qualitäten wurden schließlich übernommen. Man streift also weiterhin durch das Ödland, sammelt Schrott, wo es nur geht und macht den Raidern das Leben zur Hölle. Dabei bekommt man es rasch mit den unterschiedlichsten Fraktionen und deren Motivationen zu tun, für die man Aufgaben übernehmen kann und dann warten ja noch an allen Ecken und Enden Nebenmissionen… Genug zu tun gibt es also mal wieder. Neu hinzugekommen ist ein erweitertes Craftingsystem und die Möglichkeit, seinen Unterschlupf nach eigenem Gutdünken zu gestalten. Wer genug Kram gesammelt hat, baut einfach einen Geschützturm vor sein Haus oder versucht sich als Innenarchitekt. Ja, wer auf sowas steht, der wird Stunden damit verbringen, die aus den Trailern bekannten Leuchtreklamen oder mehrstöckigen Appartements nachzubauen. Ein wenig fühle ich mich da an das „Scarface“-Videospiel erinnert, bei dem man schon ähnliches mit Tonys Villa anstellen konnte. Eine schöne Sache, die nun in die „Fallout“-Reihe Einzug gehalten hat, wenn da das Problem mit der Bedienung nicht wäre… denn wie ein Großteil des Steuerungskonzepts ist auch dieses auf den Controller zugeschnitten. Wer mit Maus und Tastatur den Architekten spielen will, kommt aufgrund der hakeligen Steuerung bald an die nervliche Belastungsgrenze. So dreht man ein Element mit der linken und rechten Maustaste. Blöd nur, dass die Maustasten keinen Spielraum geben und die Baumaterialien dadurch viel zu ungenau und schnell gedreht werden. Bis Bethesda hier nicht nachgebessert hat, lasse ich jeden ernsthaften Bauansatz erstmal bleiben. Das ist mir zu ungenau und selbst mit Controller ist es nicht optimal gelöst
Da „Fallout 4“ immer noch ein Action-RPG ist, darf natürlich ein großer Skilltree (bzw. hier ist es ein Perksystem) nicht fehlen. Haben wir die entsprechenden Erfahrungspunkte gesammelt, dürfen wir in Bereichen wie „Charisma“ unsere Redegewandheit ändern, oder auch unsere Stärker erhöhen, um mehr Items tragen zu können. Letztere können wir übrigens jetzt teilweise in Werkbänken zwischenlagern und können von jeder anderen Werkbank auf die Items zugreifen. Das ist eine willkommene Neuerung, die das Spiel natürlich ungemein vereinfacht. Vereinfacht hat man leider aber auch das Waffensystem, denn, von der Powerarmor abgesehen, nutzt sich hier nichts mehr ab. Waffen müssen also nicht mehr repariert werden. Das nimmt für mich eine strategische Komponente raus, daher finde ich es schade. In einer solchen Spielwelt gehört für mich das haushalten mit solchen Ressourcen einfach dazu. Eine Levelgrenze der Figur gibt es übrigens anscheinend auch nicht mehr. In Teil 3 war ja bereits nach Level 30 Schluss mit der Charakterentwicklung.
Ein bisschen hat Bethesda auch am VATS-System geändert. Haben wir per Tastendruck im dritten Teil noch die gesamte Spielwelt komplett eingefroren, laufen die Kämpfe nun weiter in Zeitlupe ab. Das kann Fluch oder auch Segen sein, je nachdem, ob der Gegner seinen Kopf gerade aus einer Deckung rausstreckt oder sich hinter ihr verkriecht. Zumindest macht es die Kämpfe dynamischer, wenn man das System denn nutzen möchte. Die Schießereien spielen sich übrigens nun noch shooterlastiger und weil unsere Gegner dank neuer Animationen auch gerne mal den Kugeln ausweichen, oder sich in Deckung begeben, steigt der Schwierigkeitsgrad etwas an. Gerade die wilden Ghule und Deathclaws benutzen manchmal geschickte Zickzackmanöver. Am Ende bringt aber all die Akrobatik nichts, denn die K.I. ist ansonsten so stumpf, wie man es gewohnt ist. Raider laufen gerne alle durch eine Tür, obwohl sich da die Kollegen schon auf einem Leichenhaufen stapeln, weil man sie mit einer Dopelläufigen begrüßt hat, etc.
Warum Bethesda wieder auf das hässliche und unübersichtliche Listensystem für das Inventar gesetzt hat, obwohl es für „Skyrim“ und co. so viele großartige Modifikationen gab, die gezeigt haben, wie man es richtig macht, bleibt mir unerklärlich. So darf man sich weiterhin im Kampf durch ewig lange und unattraktive Bildschirmlisten vom Pip-Boy durchklicken, bis man das gefunden hat, was man sucht.
Steuerung:
Hier ist für mich einer der ärgsten Schnitzer zu finden, denn das Spiel ist absolut nicht auf die Eingabegeräte des PCs vernünftig zugeschnitten. Das muss man spätestens dann feststellen, wenn man versucht, das Mausrad zum Waffenwechseln zu verwenden, diese Funktion gibt es nämlich gar nicht. Diese Entscheidung ist dermaßen bescheuert, dass ich es unfassbar finde. Statt bequem durch die Waffen zu scrollen, muss man in einem Favoritenmenü rumwühlen, dass auf das Digitalkreuz eines Gamepads ausgelegt ist, oder man merkt sich eben die Tastenbelegungen auf den Nummerntasten. Eine extrem umständliche und unnötige Entscheidung. Hier werden es Modder wieder fixen müssen. Weiterhin bin ich mit der Maussteuerung unzufrieden, denn die wirkt arg schwammig, selbst, nachdem ich sämtliche Mausfilter und die Mausbeschleunigung deaktiviert habe. Es ist für mich auch immer befremdlich, wenn mein Blick von links nach rechts schneller umgesetzt wird, als ein Blick von oben nach unten. Eine separate Einstellung für die Sensitivität der beiden Achsen ist mir nicht aufgefallen.
Grafik:
Was wurden vor Release doch für Diskussionen geführt. Während die einen felsenfest überzeugt waren, dass die Grafik furchtbar aussehen würde, war die andere Seite völlig anderer Meinung und ohnehin gehe es ja nur ums Gameplay. Tatsächlich haben beide Seiten irgendwie recht. Wenn man die Optik des vierten Spiels mit dem Vorgänger vergleicht, glaubt man nicht unbedingt, dass sieben Jahre dazwischen liegen, obwohl es zweifellos besser aussieht. Die Texturen sind aus der Entfernung gut, in der Nähe aber verwaschen. Die Animationen sind geschmeidiger, aber immer noch seltsam steif und über die recht ausdruckslosen Gesichter möchte ich mich eigentlich gar nicht auslassen. Motion Capturing hätte hier Wunder wirken können. Unverständlich, warum bei einem solchen AAA-Titel nicht auf dieses seit Ewigkeiten vertraute Werkzeug zurückgegriffen wird. Allerdings sind die negativen Aspekte nur vereinzelt nervig. Die Frage ist ja schließlich auch, ob nicht dennoch ein stimmiges Gesamtbild vorliegt und das tut es. Es sieht gut genug aus und kann die Atmosphäre des Spiels weitertreiben. Ein sternenklarer Nachthimmel oder Lichtstrahlen, die durch Bäume fallen, sehen sogar richtig schön aus. Dazu wissen auch einige Beleuchtungseffekte zu gefallen. Dennoch: visuell ist „Fallout 4“ altbacken, was einfach zu erwarten war. Das kann man nicht abstreiten. Die Frage ist, ob man damit leben kann. Für mich ist es nur dann problematisch, wenn mir die Synchronsprecher das große Drama vorspielen, die Gesichter aber oftmals eine andere Sprache erzählen. Die Mimik ist einfach nicht überzeugend. Das macht mir ein wenig die Immersion kaputt. Vieles wird man mit Mods aufhübschen können, bei den Animationen kann man allerdings nicht viel machen.
Sound:
Was das Sounddesign angeht, gibt es wenig Grund zu murren. Klangtechnisch klingt alles eine Ecke hochwertiger als noch in „Fallout 3“, was anscheinend auch einer höheren Samplingrate der Sound- und Musikeffekte geschuldet ist. Der englische O-Ton wird durch ausgezeichnete Voice-Actor unterstützt und auch die deutschen Sprecher gehen in Ordnung. Mit den dt. Sprechern von Antonio Banderas und Jessica Biel hat man sogar zwei Hochkaräter für die Hauptrollen finden können. Die Wahl von Bernd Vollbrecht als männliche Hauptfigur verwundert kaum, hat er doch schon in „Skyrim“ mitgewirkt. Ein Wermutstropfen ist allerdings der Umstand, dass die Lippensynchronität in der deutschen Version, zumindest im aktuellen Zustand, oftmals wirklich nicht hinhaut. Da bewegen sich die Lippen auch mal zwei Sekunden gar nicht, obwohl der Sprecher redet.
Die Waffengeräusche wirken in den Anfangsstunden noch etwas schwachbrüstig. Gegnerische Pistolenschüsse klingen wirklich extrem unbedrohlich, eher nach Spielzeug. Gut, viele der Waffen sind ja auch selbstgebaut. Feuert man selbst, klingt es aber meist druckvoller. Größere Kaliber klingen da schon besser. Für mich ist aber in jedem Fall Verbesserungspotential da.
Was zählt bei einem Fallout-Titel noch? Genau, die Musik! Wie zu erwarten, ist diese wieder fabelhaft. Wer „Mafia 2“ gespielt hat, dürfte einige der 40er und 50er Songs wiedererkennen. Wem dieser Rock ’n‘ Roll noch zu fetzig ist, kann sich auch einen Klassikradiosender zu Gemüte führen. Musikalisch wird für mich in jedem Fall immer der richtige Ton getroffen. Diese merkwürdige Atmosphäre, wenn man im Radio einen Oldie hört und gleichzeitig gegen Ghule und Supermutanten kämpft, oder einfach nur ein verlassenes Haus durchsucht, ist so unheimlich, wie faszinierend.
Performance:
Mein System:
AMD FX 8320 @ 4.0 GHZ
Inno3D GTX 970 4 GB
8 GB RAM @ 1333mhz
Auf den höchsten Einstellungen erziele ich bei 1440P zwischen 40 und 60 FPS. Dazu muss ich erwähnen, dass ich den Nvidia-Gameready-Treiber bereits installiert habe. Wirklich angetan bin ich von der technischen Leistung bisher noch nicht. Das ist einfach zu wenig für das, was visuell geliefert wird. Natürlich braucht es für Open-World-Spiele in der Regel einen potenten Prozessor, aber wenn meine CPU in Spielen wie „Witcher 3“, „Mad Max“ und „GTA V“ bessere Ergebnisse erzielt, bei bedeutend besserer Grafik, dann darf man schon enttäuscht sein. Stelle ich die Godrays auf mittel und spiele in 1080p, so habe ich konstante 60 FPS mit seltenen Framedrops. Abwarten. Wir stehen schließlich noch am Anfang einer langen Patchgeschichte. Insgesamt geht die Performance aber in Ordnung und laut diversen Berichten können auch betagtere Kisten mit „Fallout 4“ gut umgehen. Die Systemanforderungen waren vorab also mal wieder übertrieben. Für mich ein riesiger Pluspunkt sind die fehlenden Nachladeruckler, die ich in „Skyrim“ so unfassbar gehasst habe. Dafür gibt es immer noch Ladebildschirme, wenn wir bestimmte Gebäude betreten und die haben es, so wie die normalen Ladezeiten, doch in sich. Das Spiel profitiert dahingehend extrem von einer Installation auf einer SSD.
Fazit:
Wer hier einen Anwärter auf den Titel „Game of the Year“ erwartet hat, wird vorerst noch enttäuscht werden. Aufgrund einiger Bugs, technischer Problemchen und unsinniger Steuerungseinschränkungen hat Bethesda noch alle Hände voll zu tun, „Fallout 4“ gesund zu patchen. So wie es aktuell wirkt, ist es aber doch ein wirklich guter Titel geworden, der nahezu alle Qualitäten des dritten Teils übernimmt und mit einigen neuen Ideen überzeugen kann. Audiovisuell ist es stimmig, wenn auch grafisch eher altbacken. Dafür punktet das Spiel natürlich durch Atmosphäre und die Spielwelt. Dass man allerdings auch die Probleme des direkten Vorgängers übernommen hat, ist für mich unverzeihlich. Im aktuellen Zustand vergebe ich wohlwollende 4 Sterne, empfehle aber, mit dem Kauf noch ein wenig abzuwarten, bis die Kinderkrankheiten ausgetrieben sind.
Wer sich übrigens die Ladenversion kauft, in der Hoffnung, das Spiel dann nicht runterladen zu müssen, wird enttäuscht. Wieder einmal befindet sich nur eine DVD dabei und der Großteil muss runtergeladen werden. Da ich beim Download allerdings keine Probleme hatte, lasse ich das nicht in die Bewertung mit einfließen, obwohl ich diese Praxis unmöglich finde.
Bewertung: